Mythen (in) der veganen Kinderernährung

von | Mrz 2, 2022

Vegane Familien bei der Ernte
Irritierte Blicke und ‚dumme’ Sprüche bin ich als vegane Mama ohnehin gewohnt. In meiner Tätigkeit als Ernährungsberaterin, seit 2015 auf das Thema vegane Familienernährung spezialisiert, kenne ich diese Reaktionen auch aus meinem Klientenkreis. Nach so vielen Jahren kann ich meist nur noch den Kopf schütteln und schmunzeln, da ich dieses Thema sehr differenziert betrachten kann. Und genau das differenzierte Denken ist an dieser Stelle sehr hilfreich. Übrigens nicht nur beim Thema vegane Ernährung in sensiblen Lebensphasen.

Darum möchte ich heute mit den Lesern gemeinsam einen Blick auf gängige Argumente und Sprüche werfen und erörtern ob was dran ist oder nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst im Welt Vegan Magazin (Dezember 2022).

Mythos 1: „Das ist in Fall fürs Jugendamt. Vegane Ernährung für Kinder* ist verboten.“ (*Austauschbar: für Babys/für Schwangere)

Vorab: Ich bin keine Juristin. Insofern hoffe ich die richtigen Formulierungen  zu treffen. Meine Recherchen haben in den letzten Jahren hierzu ergeben, dass eine Kindeswohlgefährdung sicherlich problematisch wäre, diese aber nicht alleine durch eine vegane Ernährung induziert ist. Es gibt aktuell ausreichend Hinweise aus Studien1 darauf, dass eine gut geplante vegane Ernährung für Kinder möglich ist. Bei falscher Umsetzung kann sie jedoch zu einer Kindeswohlgefährdung führen. Daher ist es sehr empfehlenswert, dass der Kinderarzt über die pflanzliche Ernährung informiert ist und in Absprache mit ihm Blutuntersuchungen durchgeführt werden. Ebenfalls sinnvoll ist eine Ernährungsberatung, die als Nachweis dienen kann. Dies alles für den Worst-Case, dass bei einem Klinikaufenthalt Meldung ans Jugendamt gemacht wird, denn wie würde ein Richter entscheiden? Er könnte sich nur an der DGE Empfehlung orientieren, die aktuell eine vegane Ernährung für Schwangere und Kinder nicht empfiehlt, bzw. nur unter Einhaltung bestimmter Regeln (kritische Nährstoffe/Supplemente). Also sollte man besser nachweisen können, dass man sich an diese Empfehlungen hielt. Ein Verbot der pflanzlichen Ernährungsweise für Schwangere und Kinder existiert jedoch nicht.

Mythos 2: „Vegane Kinder sind zu klein, zu dünn und unterversorgt.“

Leider gibt es aktuell noch zu wenig Studien mit veganen Kindern. Die meisten Studien sind zudem zu alt (spiegeln also nicht unbedingt die aktuelle vegane Ernährung wider) oder es war nur eine kleine Anzahl veganer Kinder involviert: Zudem besteht beim Thema Ernährung immer das Problem, dass keine Doppelblindstudien durchgeführt werden können, da die Personen immer wissen, was sie essen. Darum kann lediglich auf Beobachtungsstudien zurückgegriffen werden, die nicht repräsentativ sind, da sich die Teilnehmer freiwillig melden und nicht Gruppen zufällig ausgewählt werden. Es ist davon auszugehen, dass die Teilnehmer ein grundsätzliches Interesse für Ernährung haben. Dennoch können diese Studien wichtige Hinweise darauf liefern, wie eine gut ausgeführte pflanzliche Ernährungsweise funktionieren kann. Eine dieser Studien ist die VeChi Diet Studie1, die bei insgesamt 430 Kindern den Unterschied zwischen Veganern, Vegetariern und Mischköstlern zwischen 1-3 Jahren untersuchte. Alle Gruppen hatten ein normales, altersgemäßes Wachstum, allerdings mit vereinzelten Kindern bei den Vegetariern (3) und Veganern (5), die deutlich kleiner waren als der Durchschnitt. Umgerechnet etwa 3% in diesen beiden Gruppen. Üblicherweise deutet ein zu geringes Wachstum auf eine unzureichende Energie- und Proteinzufuhr hin. Bei zwei Kindern traf die geringe Energiezufuhr zu. Sie wurden darüber hinaus sehr lange ausschließlich gestillt. Bei drei weiteren Kindern waren die Eltern deutlich kleiner als der Durchschnitt der Erwachsenen in D, was auf familiäre Ursachen hindeutet. Auch bei den anderen Kindern gab es eine sehr lange Stillzeit vor der Beikost oder eine Kombination aus langer Stillzeit und kleinen Eltern. Bei allen als zu klein klassifizierten Kindern war die Proteinzufuhr jedoch im Bereich der Empfehlungen. Interessant ist jedoch, dass bei den Vegetariern und Veganern auch ähnlich viele Kinder nach oben auffällig waren – also deutlich größer als der Durchschnitt. Bei den Mischköstlern gab es diese Auffälligkeiten nicht.

Nährstoffversorgung veganer Kinder in der Studie

Interessante Ergebnisse lieferten auch die die Daten zur Nährstoffversorgung. Es gab bei vielen Nährstoffen signifikante Unterschiede. Vegane Kinder hatten die niedrigste Zufuhr an Protein und Fett und die höchste Zufuhr an Kohlenhydraten, lagen aber insgesamt in einem guten Bereich. Selbst die veganen Kleinkinder lagen bei Protein noch 2,3-fach über über den Empfehlungen der DGE. Einige bekannte potentiell kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung bestätigten sich. Die Zufuhr von Jod, Calcium und Vitamin B2 lag jedoch in allen Gruppen zu niedrig. In der veganen Gruppe war die Zufuhr jedoch am niedrigsten. Dafür waren die veganen Kinder bei einigen Nährstoffen am besten versorgt. Diese Daten bestätigen, dass auf bestimmte Nährstoffe gezielt geachtet werden sollte und zeigen eine Verschiebung der Nährstoffversorgung.

Es zeigt mir aber auch, dass jede Ernährungsweise gut geplant werden sollte. Aus meiner Praxis kann ich ähnliches bestätigen. Ich sehe vegane Kinder, die sehr groß sind und propere Babys genauso wie kleine, zierliche.

Sind sie nun zu klein und zu dünn, sowie unterversorgt? Nein – das kann nicht pauschal behauptet werden, auch wenn es im Einzelfall zutreffen mag, wenn die pflanzliche Ernährung nicht gut durchdacht wurde.

Mythos 3: „Das Gehirn kann sich nicht entwickeln.“

Damit sich das Gehirn gut entwickeln kann, braucht es verschiedene Nährstoffe, die jedoch nicht nur in tierischen Produkten vorkommen.

Eine ausreichende Versorgung mit Wasser ist sowohl für den Sauerstoff- als auch den Nährstofftransport notwendig.

Gesunde Fette, vor allem mehrfach ungesättigte Fettsäuren (->Omega3) werden im Gehirn in hormonartige Botenstoffe umgewandelt. Diese fördern den Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen. Eine Unterversorgung kann zu geistigen und psychischen Störungen und Erkrankungen führen. In der veganen Ernährung werden diese Fette durch die Verwendung von z.B. Leinsamen und Walnüssen (liefert Alpha-Linolensäure) sowie durch die Verwendung von Algenöl als Lieferant von EPA und DHA als Supplement gedeckt.

Mit der Aufnahme von komplexen Kohlenhydraten steht dem Gehirn eine stetige Energiezufuhr durch Glucose zur Verfügung. Diese komplexen Kohlenhydrate werden in der pflanzlichen Ernährung durch z.B. Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte und Kartoffeln gedeckt. Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen, Erbsen und Kichererbsen liefern dem Gehirn Protein und damit alle unentbehrlichen Aminosäuren, die als Bausteine der körpereigenen Proteine dienen.

Selbstverständlich benötigt der Körper viele weitere Nährstoffe und wir dürfen nie vergessen, dass der Bedarf aller Nährstoffe gedeckt werden muss. Der Körper läuft wie ein Uhrwerk und die Funktionen bedingen sich gegenseitig, weshalb es schwierig ist zu sagen: Fürs Gehirn brauchst du das und dein Nervensystem braucht z.B. Vitamin B12. Denn grundsätzlich braucht unser Körper einfach immer das ganze Orchester. Natürlich ist es schlau, dass man sich einmal damit beschäftigt warum der eine oder andere Nährstoff wichtig ist. Vielleicht hilft das beim Verständnis der Wichtigkeit. Aber grundsätzlich muss man einfach nur die Empfehlungen umsetzen.

Wie sieht es nun also aus mit der Gehirnentwicklung bei pflanzlicher Ernährung? Die funktioniert wunderbar, wenn man weiß was man tut. Ich kann das aus meiner Praxis bestätigen und sehe es auch bei meinen eigenen Kindern.

Mythos 4: „Du drückst den Kindern deine Meinung auf.“

Tun wir das nicht immer in gewissen Grenzen als Eltern? Wir leben den Kindern unsere Werte, unsere Religion und unsere eigenen Gewohnheiten vor – auch beim Thema Essen. Doch wie würden sich die Kinder entscheiden, wenn sie wüssten, was sich hinter dem Bärchen in der Leberwurst versteckt? Kinder lieben in aller Regel alle Tiere und sind sehr emphatisch. Würden sie, wäre ihnen die grausame Wahrheit bekannt, selbst anders entscheiden? Und drücken die Weißwurst essende Münchnerin genau wie die Labskaus essende Hamburgerin nicht ebenfalls ihren Kindern ihre Meinung auf, wenn sie ihnen selbiges servieren? Werden Kinder, die von sich aus lieber auf Fleisch verzichten nicht auch dann und wann dazu bewegt das gute Stück doch noch einmal zu probieren? Ja das geschieht wahrscheinlich genauso oft, wie vegane Kinder von Tierischem abgehalten werden.

Will sagen: Es ist völlig normal, das wir den Kindern unsere Werte vorleben. Irgendwann werden unsere Sprösslinge von ganz alleine ihre eigenen Entscheidungen treffen und Mama oder Papa können sich nicht mehr durchsetzen. Genauso wenig wie bei Mischköstlern, die plötzlich Veganer am Tisch haben.

In meiner Beratungspraxis wird übrigens bei vielen Kindern die Ernährung außerhalb eben nicht so streng gehandhabt, damit die Wünsche und die Psyche der Kinder berücksichtigt werden. Hier muss jede Familie ihren eigenen Weg finden.

Mythos 5: „Vegane Kinder bekommen Karies.“

Ich hörte vor einigen Jahren von einer Zahnärztin auf einem Kindergeburtstag, dass vegane Kinderernährung für die Zahngesundheit schwierig ist und ‚alle‘ veganen Kinder Karies haben. Als ich sie fragte ob es denn sein könne, dass die veganen Kinder vielleicht häufig auch mit fluoridfreier Zahnpasta putzen und dies der mögliche Zusammenhang ist, war sie auch ratlos und ich sah wie sie begann nachzudenken. Darum habe ich einen Zahnarzt befragt, der sich auf Mikronährstoffe spezialisiert hat. Der Zahnschmelz ist die härteste Substanz im Körper und dient zum Schutz des Zahns. Er besteht zu 95% aus Hydroxylappatit. Die Hauptbestandteile davon sind Calcium und Phosphat. Das darunter liegende Dentin bildet die größte Masse des Zahns und besteht aus Calcium, Phosphat, Protein und Wasser. Es ist daher nicht so hart und anfälliger für Karies. Phosphate sind in fast allen Nahrungsmitteln enthalten, aber vor allem in Hülsenfrüchten, Nüssen und Obst. Phosphat ist daher kein kritischer Nährstoff in der veganen Ernährung. Calcium gehört zu den potentiell kritischen Nährstoffen, kann aber bei guter Planung durch Pflanzendrinks mit Calcium oder Mineralwasser mit hohem Calciumgehalt, sowie calciumreichen Lebensmitteln gedeckt werden. Wichtig ist sowohl bei Calcium, als auch bei Phosphat ein ausreichender Spiegel von Vitamin D. Vitamin D ist jedoch bei jeder Ernährungsform ein kritischer Nährstoff, wird aus meiner Erfahrung nach bei den veganen Kindern im Umfeld mehr beachtet als bei den mischköstlichen Kindern in der Nachbarschaft.

Fluoride erhöhen die Widerstandsfähigkeit gegen Karies, weil sie unter anderem den Zahnschmelz härten und vor Säuren schützen. Es könnte also gegebenenfalls tatsächlich an der falschen Zahnpasta und/oder der Kombination von fehlenden Nährstoffen und falscher Zahnpasta liegen, wenn vegan ernährte Kinder Karies entwickeln. Zudem ist der Zahnschmelz bei Milchzähnen noch nicht so hart wie bei den Bleibenden. Aus meiner Praxis kenne ich sowohl vegane Kinder mit Karies als auch Kinder ohne.

Mythos 6: „Aber sie brauchen doch Protein zum Wachsen und ohne Fleisch können sie den Eisenbedarf nicht decken. Und sie brauchen Calcium für die Knochen und ohne Milch geht das nicht.“

Auf die Argumente zu Protein und Calcium bin ich bereits im Verlauf eingegangen. Das Thema Eisen möchte ich noch kurz aufgreifen. Aus der VeChi Studie ging hervor, dass die Gruppe der veganen Kinder über die höchste Zufuhr von Eisen verfügte. Dies war keine Überraschung, da sich dieses Bild auch in anderen Studien schon gezeigt hatte. Allerdings ist bis dato bekannt, dass das pflanzliche Eisen für den Körper schlechter verfügbar ist, als das tierische Eisen. Die Aufnahme kann durch die gezielte Kombination mit Vitamin C gefördert werden. Inzwischen weiß man außerdem, dass Hülsenfrüchte wie Linsen pflanzliches Ferritin Eisen enthalten, für das im Körper ein eigener Aufnahmeweg existiert. Somit kann man sagen, das pflanzliches Eisen für den Körper genauso wertvoll ist wie Eisen aus tierischen Produkten2.

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Kürzlich hatte ich eine Anzeige bei Facebook geschaltet. Wenige Tage nach der Veröffentlichung wurde ich beim Login auf einen Kommentar aufmerksam gemacht, den ich den Lesern nicht vorenthalten möchte:

„Bevor ich vegan werde, höre ich lieber ganz auf zu essen.“

Soll ich dazu jetzt noch etwas schreiben? Äh nein – diese Antwort überlasse ich dir, lieber Leser, liebe Leserin.

Welche Vorurteile und Mythen kennst du? Bin gespannt, was du schreibst. Hinterlasse mir doch einen Kommentar.

1) Weder S, Hoffmann M, Becker K, Alexy U, Keller M. Energy, Macronutrient Intake, and Anthropometrics of Vegetarian, Vegan, and Omnivorous Children (1⁻3 Years) in Germany (VeChi Diet Study). Nutrients. 2019 Apr 12;11(4):832. doi: 10.3390/nu11040832. PMID: 31013738; PMCID: PMC6521189.

2) Eisenmangel beheben mit natürlichen Lebensmitteln, Günther, Springer Verlag 2019

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